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Gesundheitspolitische Themen

”Dieser Pandemie-Plan ist unzureichend”


Kaum war das Tauziehen um das neue Infektionsschutzgesetz vorbei, da regte sich schon Kritik am Ergebnis. So mancher vermisst konkrete Handlungsvorgaben und klare Kriterien für die möglichen Schutzmaßnahmen im Herbst und Winter. Der Experte Frank Rudolph, Geschäftsführer des Bundesverbandes Verrechnungsstellen Gesundheit e.V. (BVVG), hat Verständnis für die Kritiker. Doch mehr als ein unvollständiges Kompromisspapier sei ohnehin kaum zu erwarten gewesen, sagt er im Interview.

 Der Experte für Gesundheitspolitik Frank Rudolph, Geschäftsführer des Bundesverbandes Verrechnungsstellen Gesundheit e.V. (BVVG).


Nach monatelangem Tauziehen haben Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) ihren Plan für den Pandemie-Herbst vorgelegt. Wie lautet Ihre Einschätzung - Top oder Flop?
Nicht Top, aber auch nicht völlig Flop. Einiges macht Sinn und ist durchaus brauchbar, anderes ist nicht alltagstauglich und wieder anderes fehlt ganz. Ein großer Wurf ist nicht gelungen. Mich erinnern die langwierigen Verhandlungen und das Ergebnis eher an den sprichwörtlichen Berg, der kreißte und eine Maus gebar. Dieser Pandemie-Plan ist insgesamt unzureichend. Aber mehr als so ein unvollständiges Kompromisspapier war angesichts der weit auseinanderliegenden Positionen der beiden Politiker und ihrer Parteien wohl kaum zu erwarten. Da hat man lange diskutiert und gestritten und am Ende wird uns nun ein altbekannter Werkzeugkasten für die Corona-Bekämpfung präsentiert - diesmal nur ohne die Tools Lockdown und Schulschließung.

Ein Großteil der Verantwortung wird an die Bundesländer delegiert …
Über eventuelle Verschärfungen sollen die Länder selbst entscheiden, aber es fehlt an klaren Vorgaben und eindeutigen Kriterien dafür. Stattdessen gibt es Hürden, weil im Zweifelsfall die Zustimmung der Landesparlamente erforderlich wird. Da macht es sich die Bundesregierung leicht: Wenn bestimmte Einschränkungen bei der Bevölkerung auf Unmut stoßen, kann die Ampel sagen: Wir haben das nicht angeordnet, das waren die Länder. Zudem droht uns schon wieder ein Flickenteppich unterschiedlicher Maßnahmen. Der Virologe Hendrik Streeck hat völlig zu Recht klare Vorgaben für die Länder gefordert, unter welchen Umständen Maßnahmen wie die Maskenpflicht an Schulen zu ergreifen sind.

Es gab Kritik an den vorgesehenen Ausnahmen von der Maskenpflicht für frisch geimpfte Menschen. Aber ist es nicht verständlich, wenn Leute, die sich für Impfung und Booster entschieden haben, auch ein Stück mehr Freiheit erwarten?
Natürlich ist das nachvollziehbar. Aber das ist gar nicht der Punkt. Inzwischen weiß jedes Schulkind, dass Geimpfte sich nicht nur ebenfalls infizieren können - wenngleich meist mit einem milden Krankheitsverlauf -, sondern auch andere anstecken können. Ausnahmen für Geimpfte bei der Maskenpflicht stellen also eine potenzielle Gefährdung anderer Menschen dar. Was Karl Lauterbach da macht, ist aus meiner Sicht juristisch fragwürdig. Ganz abgesehen davon, dass er sich erneut gegen Empfehlungen der Ständigen Impfkommission stellt, deren Kompetenz er immer mehr in Frage stellt.

Worauf führen Sie das zurück?
Wie es scheint, will der Gesundheitsminister - getreu dem Mantra “Impfen, impfen und nochmals impfen” - die Leute mit dem Zuckerbrot “Ausnahmeregelung” locken. Es liegt auf der Hand, dass damit auch die Impfkampagne mit den für neue Corona-Varianten angepassten Impfstoffen angekurbelt werden soll, die im September erwartet werden. Die Spritze soll man sich dann offenbar alle 90 Tage abholen, denn “frisch” geimpft heißt mittlerweile, dass die letzte Impfung nicht länger als drei Monaten zurückliegen darf. So wird jetzt schon Kurs genommen auf die vierte, fünfte und unter Umständen gar sechste Impfung.

Wenn dieses Vorgehen tatsächlich juristisch fragwürdig sein sollte, warum stellt sich der FDP-Justizminister dann nicht quer?
Vermutlich sieht Marco Buschmann die Ausnahmeregelung als einen vertretbaren - und zudem willkommenen - Kompromiss an. Bekanntlich hatte er generelle 2G- und 3G-Regelungen für den Herbst stets abgelehnt. Nun kann die FDP darauf verweisen, dass sie auch beim Thema Masken allzu strenge gesetzliche Vorgaben verhindert hat. Tatsächlich wird mit den Ausnahmen eine alltagstaugliche Handhabung der Maskenpflicht erschwert. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) hat gewarnt, vor Ort könne das kein Mensch wirklich kontrollieren. Da kann ich ihm nur zustimmen.

Klaus Holetschek wird im “Spiegel” auch mit der Einschätzung zitiert, dass “die FDP den Bundesgesundheitsminister vor sich hertreibt und in das Bundesgesundheitsministerium hineinregiert”. Stimmen Sie dem auch zu?
Ich kann das zumindest nachvollziehen. Es entsteht der Eindruck, dass Marco Buschmann zwecks Durchsetzung politischer Ziele der Liberalen versucht, das Gesundheitsministerium zu einer Art Unterabteilung des Justizministeriums zu machen. Frei nach dem Motto: Letztendlich bin ich sowieso derjenige, der aus juristischer Sicht entscheidet, was machbar ist und was nicht.

Tino Sorge, der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, hat kritisiert, dass “das Thema des Ob und Wie der Isolationspflicht in dem Vorschlag komplett ausgeklammert” worden sei…
Womit er recht hat. Offenbar konnten sich die Koalitionäre bei dem Thema nicht einigen und haben deshalb schlicht gar nichts dazu gesagt. Die Folge davon könnte durchaus sein, dass Personalengpässe aufgrund coronabedingter Ausfälle im Gesundheitswesen weiter ein ernstes Problem darstellen. Österreich hat auf die Corona-Isolationspflicht verzichtet. Wer infiziert ist, sich aber gesund fühlt, muss sich dort nicht mehr zu Hause isolieren. Dänemark, Norwegen, Großbritannien, Spanien und die Schweiz handhaben das ebenso. Auch in Deutschland ist eine Diskussion über das Ende der Isolationspflicht entbrannt. Für Karl Lauterbach ist das aber ein No-Go. Weil sich die FDP hier nicht durchsetzen konnte, hat man das Thema halt fallenlassen.

Kann man denn nicht erwarten, dass sich die Bundesregierung im Entwurf für ein neues Infektionsschutzgesetz zu einer so wichtigen Frage klar positioniert?
Richtig, das gehört dazu. Wir wissen, dass Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen ein riesengroßes Personalproblem haben, weil sehr viele Leute längere Zeit in Quarantäne ausharren, selbst wenn sie keine oder nur sehr milde Symptome haben. Es müssen mancherorts ganze Abteilungen geschlossen werden, weil nicht mehr genug Personal da ist. Angesichts dessen muss sich der Gesetzgeber zu dieser Frage klar und deutlich äußern, so dass die Player im Gesundheitswesen wissen, woran sie sind und wie sie mit diesem Problem künftig fertig werden sollen.

Karl Lauterbach hat wiederholt vor einem “sehr schwierigen” Herbst gewarnt. Er befürchte, dass es zu Überlastungen der kritischen Infrastruktur und der Krankenhäuser komme. Wie stellt sich die derzeitige Lage der Krankenhäuser für Sie da, was hören Sie dazu von Ihren Partnern?
Zunächst mal zu den Warnungen. Der Minister hat inzwischen eine “gute Nachricht für den Herbst” per Twitter verbreitet: “Es sieht immer mehr danach aus, als ob es zumindest nicht eine zusätzliche Variante neben BA5 geben würde.” Demnach soll es also im Herbst doch nicht so schlimm werden, wie zunächst befürchtet. Damit deckt er in seiner Kommunikation die ganze Bandbreite von Katastrophe über “Killervirus” bis hin zu “wird doch nicht so schlimm” ab. Es kann sich jeder aussuchen, was er möchte, und Lauterbach kann hinterher sagen, mindestens eine seine Vorhersagen habe sich bestätigt. Diese Methode finde ich, vorsichtig formuliert, schwierig.

Zur Lage in den Krankenhäusern: Die Hospitalisierungsrate ist in den letzten Tagen wieder runtergegangen, da zeichnet sich also eine gewisse Entspannung ab. Aber vielen Kunden der im BVVG zusammengeschlossenen Abrechnungsdienstleister - vor allem im Bereich der Krankenhäuser - macht der anhaltende coronabedingte Personalmangel zu schaffen. Aus manchen Häusern hören wir, dass bis zu 40 Prozent des Pflegepersonals ausgefallen sind. Eine gewisse Hoffnung auf Besserung ergibt sich aus rückläufigen Infektionszahlen, aber wir wissen alle, dass die Dunkelziffer wohl recht hoch ist. Das liegt unter anderem daran, dass inzwischen weit weniger PCR-Tests gemacht werden.

Corona ist nicht der einzige Kostentreiber. Steigende Energiepreise, höhere Vergütungen für Pflegekräfte, die Inflation insgesamt - all das kommt hinzu. Die Krankennhausverbände von Sachsen und Thüringen haben ein Sofortprogramm zur Kompensation inflationsbedingter Kostensteigerungen gefordert. Steht der Bund da in der Pflicht? Oder anders gefragt: Wer soll das bezahlen?
Es muss etwas geschehen, davon bin ich überzeugt. Nehmen wir als Beispiel ein Krankenhaus mittlerer Größe mit bis zu 700 Betten. Da fielen vor dem Ukraine-Krieg jährliche Energiekosten zwischen 750 000 und 850 000 Euro an. Jetzt ist man da bei 2,4 Millionen. Kein einziges Krankenhaus in Deutschland hat genügend Rücklagen oder Überschüsse, um eine solche Kostensteigerung aus eigenen Mitteln kompensieren zu können. Hinzu kommen gestiegene Personalkosten. Da kommt eins aufs andere. Der Bund muss sich etwas einfallen lassen, ehe etliche Krankenhäuser einfach am Ende sind und Patienten abweisen oder nach Hause schicken müssen. Natürlich ist die Krankenhausfinanzierung zunächst mal Ländersache, aber irgendwann können die auch nicht mehr. Deshalb ist es höchste Zeit, dass sich die Bundesregierung ernsthaft Gedanken macht, wie in Zukunft die stationäre medizinische Versorgung für alle gewährleistet werden soll.

Die Zahl der Krankenhäuser ist seit langem rückläufig. 1991 waren es laut Statista noch 2.100, heute sind es noch rund 1.900. Dennoch sind nicht wenige Experten der Ansicht, auch diese Zahl sei noch zu hoch. Es müsse nicht überall alles an medizinischen Leistungen angeboten werden. Wie stehen Sie dazu?
Eine Reform der Krankenhausstrukturen ist überfällig. Wir müssen wegkommen von einer Finanzierung, die sich an der Anzahl der belegten Betten orientiert und konsequent übergehen zu einer Finanzierung, die medizinische Qualität und Leistung zum Maßstab macht. Wer bestimmte Behandlungen öfter macht als andere, muss dafür auch mehr Geld bekommen als jene, die sie selten machen. Das kommt dann auch den Patienten zugute. Wer ein künstliches Hüftgelenk braucht, der ist doch in einem Krankenhaus, das solche Operationen hunderte Male im Jahr macht, besser aufgehoben als in einem, wo so etwas vielleicht nur 20 mal vorkommt - selbst wenn dieses Haus für diese 20 Patienten gleich um die Ecke liegt.

Es gibt also Einsparpotenzial, das sich durch eine Umstrukturierung der Krankenhauslandschaft erschließen lässt. Nordrhein-Westfalen ist dabei in meinen Augen Vorläufer. Ich bin froh, dass die entsprechende Reform, die NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) 2019 angestoßen hat, auch unter der neuen schwarz-grünen Landesregierung verfolgt wird. Die Vorhaben zur Änderung des NRW-Krankenhausgestaltungsgesetzes, die bereits in der vorangegangenen Legislaturperiode auf den parlamentarischen Weg gebracht wurden, sollten konsequent umgesetzt werden und zudem bundesweit Beachtung finden.

Zur Person: Frank Rudolph ist mit dem deutschen Gesundheitswesen - seinen Vorzügen wie seinen Problemen - bestens vertraut. Die Folgen gesundheitspolitischer Weichenstellungen, insbesondere das Verhältnis von Kosten und Nutzen in der medizinischen Versorgung, sind Dauerthemen für den Geschäftsführer des Bundesverbandes Verrechnungsstellen Gesundheit. Der 1960 in Essen geborene Betriebswirt war von 2007 bis 2013 Mitglied der Bundeskommission Gesundheit und ist bis heute Mitglied der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU. Seit 2007 ist Frank Rudolph 1. stellvertretender Vorsitzender des Gesundheitspolitischen Arbeitskreises der CDU NRW.

https://www.bvvg-ev.de/start
http://www.nawrocki-pr.de

 

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