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Gesundheitsversorgung nach Kassenlage?

Wieviel Medizin will sich der Staat leisten? istock: AndreyPopov

 

Um die Finanzlücken der Gesetzlichen Krankenversicherung zu schließen, fordern Kassenvertreter dauerhaft mehr Bundeszuschüsse. Wissenschaftler warnen jedoch vor negativen Konsequenzen. Welche Folgen es hat, wenn steuerfinanzierte Gesundheitssysteme von der jeweiligen Haushaltslage des Staates abhängig sind, zeigen die Beispiele anderer Länder.

Droht Patientinnen und Patienten im Krankenhaus jetzt eine „Pflege nach Kassenlage“? Das Bundesgesundheitsministerium soll Vorgaben zu Pflegepersonalbedarf und -besetzung zukünftig nur noch im Einvernehmen mit dem Bundesfinanzministerium bestimmen dürfen. Einen entsprechenden Entwurf für das Krankenhauspflege-Entlastungsgesetz hat das Kabinett beschlossen. Bei den Kliniken stößt das auf viel Kritik. Wenn es maßgeblich um die Interessen des Finanzministers gehe, sei „der tatsächliche Pflegebedarf maximal noch zweitrangig: Er würde nach Kassenlage definiert“, kommentiert der Vorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Budget-Konkurrenz führt zu medizinischer Versorgung nach Kassenlage

Welche Folgen es hat, wenn steuerfinanzierte Gesundheitssysteme von der jeweiligen Haushaltslage des Staates abhängig sind, zeigt sich in mehreren europäischen Ländern.  Dort kommt es immer wieder zur Rationierung von Leistungen, schreiben die Professoren Volker Ulrich (Universität Bayreuth) und Eberhard Wille (Universität Mannheim) in einem Gutachten  für den PKV-Verband. „Steuern zur Finanzierung von Gesundheit oder Pflege konkurrieren im Haushalt unmittelbar mit Mitteln für wichtige Zukunftsfelder wie Verkehr, Digitales, Bildung, Klima oder Infrastruktur.“ Diese Budget-Konkurrenz kann zu einer medizinischen Versorgung nach Kassenlage führen, folgern die Studienautoren.

Die akuten Warnungen vor haushaltspolitischen Leistungskürzungen in der Gesundheitsversorgung kommen nicht von ungefähr: Die Gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung kämpft mit Milliardendefiziten. Mindestens 17 Milliarden Euro soll das Defizit der Krankenkassen im Jahr 2023 betragen. Dabei steht der große finanzielle Druck, bedingt durch die Alterung unserer Gesellschaft, erst noch bevor: Der Eintritt der Babyboomer in den Ruhestand wird in den kommenden Jahren zu stark steigenden Gesundheits- und Pflegekosten von immer mehr Älteren führen - bei zugleich immer weniger erwerbstätigen Beitragszahlern.

Während der Staat mit den Folgen des Ukraine-Krieges für die Deutschen einerseits und der verfassungsrechtlich verankerten Schuldenbremse andererseits ringt, setzen sich Vertreter der gesetzlichen Krankenkassen aktuell für höhere Steuerzuschüsse ein, um die Finanzlücken „nachhaltig“ zu schließen. So fordert der Verband der Ersatzkassen eine jährliche Dynamisierung der Bundeszuschüsse.

Hoher Konsolidierungsdruck auf Bundeshaushalt

Eine steuerfinanzierte Stabilisierung der Sozialversicherungen würde jedoch einen immensen Konsolidierungsdruck auf den Bundeshaushalt erzeugen. Dies verdeutlicht ein aktuelles Gutachten der Professoren Thiess Büttner und Martin Werding, die beide den wissenschaftlichen Beratungsgremien des Bundesfinanzministers angehören. Demnach steigen die jährlichen Bundeszuschüsse aufgrund bereits bestehender Leistungszusagen von heute 137 Milliarden auf 189 Milliarden Euro.  

Die Beitragssätze für die gesetzliche Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherungen werden Büttner und Werding zufolge übrigens trotzdem steigen: Schon in dieser Wahlperiode auf insgesamt 42,8 Prozent. Bis zum Jahr 2030 zeigt die Projektion sogar einen Anstieg auf 45,2 Prozent der beitragspflichtigen Einkommen. 
 

Höherer Bundeszuschuss in der GKV keine Lösung

Dauerhaft höhere Steuerzuschüsse können die strukturellen Finanzprobleme nicht lösen, warnt auch das Wissenschaftliche Institut der PKV (WIP). Mit steigender Steuerfinanzierung würde der grundlegende Vorteil einer haushaltspolitisch weitgehend unabhängigen GKV mehr und mehr verloren gehen. Zudem würden die Steuerzuschüsse sichere Kassenfinanzen nur vorgaukeln – während die Lasten lediglich von den Beitragszahlern auf die Steuerzahler verschoben werden.

Die Gesundheitsökonomen Prof. Volker Ulrich und Prof. Eberhard Wille lehnen deshalb die Ausweitung der Steuerzuschüsse mit Blick auf die Generationengerechtigkeit ab: „Der Bundeszuschuss zur Sozialversicherung würde dann im Wesentlichen über neue Schulden finanziert, die zu einer Umverteilung zwischen den Generationen führen, da sie letztlich auf das Verschieben von Steuerlasten hinauslaufen, wenn die Kredite später über Steuern zurückgezahlt werden müssen. Wir vererben damit nicht nur Schulden, sondern auch kostspielige Verteilungskonflikte.“

So geht eine nachhaltige Finanzierung in der Gesundheitsversorgung: Nachhaltige Finanzierung (pkv.de)

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