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Bluthochdruck, Diabetes, Nierenkrankheit:

Warum Früherkennung für Risikogruppen so wichtig ist


Wenn’s an die Nieren geht: Schätzungsweise rund 9 Millionen Menschen in Deutschland haben eine chronische Niereninsuffizienz – aber nur 10 % von ihnen wissen überhaupt davon. Das Tückische daran: Die Krankheit kommt schleichend und wird oft erst spät diagnostiziert – und vielen Betroffenen bleibt dann nur noch die Dialyse. Was lässt sich tun?


Nierenkrankheiten – oft abgekürzt mit dem englischen „CKD“ (chronic kidney disease) – werden weltweit immer häufiger. Für die Betroffenen gehen sie mit einer geringeren Lebenserwartung und der schwelenden Angst vor der Dialyse einher. Zwar empfehlen internationale medizinische Leitlinien, Risikopatient:innen wie Menschen mit Bluthochdruck, Diabetes oder Herz-Kreislauferkrankungen zu screenen und eine frühzeitig Therapie unter anderem mit den sogenannten SGLT2-Inhibitorenzu initiieren, also mit Wirkstoffen, die den Krankheitsverlauf verlangsamen können. Fakt ist, dass eine Niereninsuffizienz oft erst bemerkt wird, wenn die Krankheit schon weit fortgeschritten ist.

Wie kann erreicht werden, dass die Niere frühzeitiger mitgedacht wird? Und wie gelingt es, jene zu erreichen, die besonders gefährdet sind, weil sie etwa an Diabetes, Adipositas oder Bluthochdruck leiden? Mit diesen Fragen befasste sich eine hochkarätig besetzte Expertenrunde beim Tagesspiegel.


Mit einer zielgerichteten Früherkennung lasse sich nicht nur individuelles Leid verhindern, sie sei auch wirtschaftlich geboten – mit dieser These leitete Gesundheitsökonom Dr. Julian Witte von der Vandage GmbH die Diskussion ein. Denn: Patient:innen mit einer chronischen Niereninsuffizienz gehen im Durchschnitt mit 53 Jahren in die Erwerbsminderungsrente. Und: Sie kosten das Gesundheitssystem 15-mal so viel wie ein:e Durchschnittspatient:in.

„Patient:innen mit einer chronischen Niereninsuffizienz kosten das Gesundheitssystem 15-mal soviel wie ein Durchschnittspatient.“

Dr. Julian Witte, Vandage GmbH

Neue Daten zeigen Alarmierendes: Nierenwerte werden nur relativ selten getestet, die Rate der CDK-Diagnostik ist wirklich niedrig. Und ein weiteres fällt auf: Bei Herzkreislauf-Patient:innen oder Diabetiker:innen, die enorm gefährdet sind, wird die Niere seltener untersucht als bei der Vergleichsgruppe. „Wir agieren zu breit“, so Witte. „Wir müssen zielgruppenspezifischer vorgehen und die Risikogruppen ansprechen.“

Wie wichtig frühzeitige Tests sind, unterstrich im Rahmen der Expertenrunde auch Prof. Dieter Bach, Nephrologe und Vorsitzender des Kuratoriums für Dialyse und Nierentransplantation. Patient:innen, die an Multi-System-Krankheiten wie Diabetes oder Bluthochdruck leiden, seien oft sehr überrascht, wenn ihnen gesagt wird, dass auch die Niere betroffen sei. „Eine einfache Urinkontrolle kann helfen, eine sehr belastende Dialyse zu verhindern“, so Bach. Werde eine Niereninsuffizienz rechtzeitig erkannt, so könnten Medikamente deren Fortschreiten dramatisch verändern, eine Dialyse hinauszögern oder sogar ganz verhindern.

„Frühzeitige Testungen sind entscheidend. Eine einfache Urinkontrolle kann helfen, eine sehr belastende Dialyse zu verhindern.“

Prof. Dr. Dieter Bach, Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation

Das Problem ist erkannt – das bestätigte auch Dr. Sonja Optendrenk, Leiterin der Unterabteilung „Zielgruppenspezifische Prävention“ im Bundesgesundheitsministerium. Die Herausforderung sei nun, die einschlägigen Risikopatient:innen zu erreichen: „Wir müssen die richtigen herausfischen.“ Und: Es brauche ein stärkeres Bewusstsein für die Gefahr von Nierenerkrankungen.

„Wir müssen die Risikopatient:innen erreichen.“

Dr. Sonja Optendrenk, Bundesgesundheitsministerium

Eine mögliche Antwort stellte Henning Stötefalke vor, Leiter des Hauptstadtbüros der DAK-Gesundheit. Seine Kasse ist Vorreiterin und unterhält bereits seit 2015 einen Selektivvertrag mit den Leistungserbringern, der über die Regelversorgung deutlich hinausgeht und in dessen Rahmen bei Risikopatient:innen auch die Nierenwerte in den Blick genommen werden. Dass gerade die DAK-Gesundheit einen solchen Vertrag hat, liegt daran, dass die dortigen Versicherten im Schnitt älter und kränker sind als bei anderen Kassen – und da ist es schlichtweg betriebswirtschaftlich klüger, auf Früherkennung zu setzen als dann die Dialyse zu bezahlen. „Über 80.000 DAK-Versicherte sind über diesen Selektivvertrag bereits behandelt worden.“

„Über unseren Selektivvertrag sorgen wir dafür, dass bei Versicherten mit Diabetes und Bluthochdruck auch die Niere in den Blick genommen wird.“

Henning Stötefalke, DAK-Gesundheit

Eine weitere Idee wäre, der Niereninsuffizienz ein eigenes „Disease-Management-Programm“ (DMP) zu widmen, ähnlich wie bei Adipositas oder Diabetes, oder auch, „bestehende DMPs nierenspezifischer auszurichten“, wie etwa Prof. Dr. Bach forderte. Denkbar wäre auch, die Nierenwerte im Rahmen des „CheckUp 50“ standardmäßig zu testen. Große Hoffnung setzte insbesondere Kassenvertreter Stötefalke in die Digitalisierung: „Ideal wäre, wenn wir über die elektronische Patientenakte Auffälligkeiten identifizieren und die Versicherten dann individuell ansprechen könnten.“

„Wir müssen bestehende DMPs nierenspezifischer ausrichten.“

Prof. Dr. Dieter Bach, Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation

Klar ist, da war sich die Expertenrunde einig: Entscheidend sind Information, Aufklärung und Sensibilisierung. Wer an Diabetes, Übergewicht oder Herzkreislauferkrankungen leidet, sollte die Nierenwerte im Blick behalten und sich informieren. Medizinische Fachkräfte sollten Risikogruppen frühzeitig sensibilisieren und bei Bedarf zum Facharzt oder zur Fachärztin schicken. Es braucht Ideen, wie die flächendeckende Versorgung mit Nephrolog:innen zukunftssicher gemacht werden kann. Und: Es müssen zielgerichtet diejenigen erreicht werden, die gefährdet sind, etwa durch Aufklärungskampagnen seitens der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung oder seitens eines künftigen Bundesinstituts für Prävention und Aufklärung.

Das Fazit der Veranstaltung: Wer die Niere aus dem Blick verliert, riskiert Leid und hohe Kosten – und daher braucht es Früherkennung. Und zwar nicht nach dem Gießkannenprinzip, sondern fokussiert und gezielt, sei es im Rahmen von DMPs, über Selektivverträge oder durch ein strukturiertes Screening auf Risikofaktoren für Herzkreislauferkrankungen über den Check-Up 50, in dessen Rahmen Risikogruppen gezielt sensibilisiert und getestet werden könnten. Entscheidend ist, dass Betroffene früher diagnostiziert und therapiert werden.

 

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