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GESUNDHEITSPOLITIK

Nationaler Krebsplan – quo vadis?

Von Simone Dyllick-Brenzinger

Dr. Johannes Bruns, Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft, möchte die gesamte „Patient Journey“ stärker in den Blick nehmen, Quelle: Peter-Paul Weiler


2008 wurde der Nationale Krebsplan ins Leben gerufen, eine gemeinsame Initiative des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren, der Deutschen Krebsgesellschaft und der Stiftung Deutsche Krebshilfe. Die Idee: Die Krebsbekämpfung in einem freiwilligen gesundheitspolitischen Koordinierungs- und Kooperationsprogramm weiterentwickeln. Seither sind 16 Jahre vergangen. Was wurde seitdem erreicht? Und vor allem: Wie geht es weiter? Diese Fragen wurden auf dem Deutschen Krebskongress 2024 in Berlin von der Politik, Patientenvertreter*innen und Fachgesellschaften diskutiert. Die zentrale Botschaft: Bei der Versorgung von onkologischen Patient*innen sollte nicht in Sektoren, sondern in Prozessen gedacht werden. Zudem plant das BMG im Rahmen des Nationalen Krebsplans die Themen Digitalisierung und Langzeitüberleben weiter voranzubringen.

Von Seiten des BMG wird der Nationale Krebsplan von Beginn an durch Dr. Antonius Helou begleitet, der dort das Referat „Krebserkrankungen“ leitet. Auf dem Deutschen Krebskongress zog er eine Zwischenbilanz. Der Nationale Krebsplan hat in den vergangenen 16 Jahren drei Hauptfelder adressiert: „Früherkennung“, „Daten – Strukturen – Qualität“ und „Patient im Mittelpunkt“. Und in allen drei Feldern ist viel bewegt worden: Beim Thema Früherkennung nannte Helou insbesondere das 2013 verabschiedete Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz und das Präventionsgesetz von 2015, die dann vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in entsprechende Programme überführt wurden. Beispielsweise in das seit 2019 bestehende organisierte Darmkrebs-Screening und das seit 2020 bestehende Zervixkarzinom-Screening.

Sondierungsprozess zur Weiterentwicklung des Nationalen Krebsplans

Im Handlungsfeld „Daten – Strukturen – Qualität“ nannte Helou den flächendeckenden Ausbau der klinischen Krebsregister, den einheitlichen Tumordatensatz oder auch das onkologische Leitlinienprogramm, in dessen Rahmen mittlerweile S3-Leitlinien für alle großen Tumorentitäten vorliegen. Mit Blick auf den Arbeitsbereich „Patient im Mittelpunkt“ wurde unter anderem eine Stärkung der kommunikativen Kompetenz in Medizin und Pflege auf den Weg gebracht.

Aktuell findet ein Sondierungsprozess statt und es wird darüber beraten, welche Themenbereiche der Nationale Krebsplan künftig verstärkt in den Blick nehmen soll, darunter laut Helou etwa die Digitalisierung in der Onkologie oder das Langzeitüberleben nach Krebs. Und: „Kommunikative Kompetenz aller Akteure in der Onkologie bleibt wichtig und auf der Agenda“, so Helou.

Patient*innen fordern bessere Vernetzung

Wie schauen Patient*innen auf eine Weiterentwicklung des Nationalen Krebsplans? Diese Sicht brachten Hedy Kerek-Bodden und Jan Geissler im Rahmen der Diskussion ein. Kerek-Bodden engagiert sich als Vorsitzende des Bundesverbands Haus der Krebs-Selbsthilfe und als Vorstandsvorsitzende der Frauenselbsthilfe Krebs Bundesverband. Im Hinblick auf die Neuausrichtung des Nationalen Krebsplans sprach sie sich dafür aus, dass das Bedürfnis von Betroffenen nach Informationen ernstgenommen werden sollte. „Wir fordern das Empowerment möglichst vieler Menschen unabhängig vom Bildungshintergrund“, so die Patientenvertreterin.

Zudem forderte sie ein flächendeckendes Ausrollen der zertifizierten Zentren und eine gleichzeitige Sicherstellung, dass Patient*innen diese erreichen können. „Hier braucht es Hol- und Bringdienste“, so Kerek-Bodden. 

Als weiterer Patientenvertreter kam Jan Geissler zu Wort. Er ist Gründer und Geschäftsführer des Thinktanks Patvocates. Geissler ist selbst im Alter von 28 Jahren an Krebs erkrankt und engagiert sich seither für die Mitwirkung und Beteiligung von Patient*innen.

Im Hinblick auf den Nationalen Krebsplan plädierte Geissler dafür, das Thema „Cancer Survivorship“, also Langzeitüberleben und Langzeitfolgen von Krebs, sowie seltene Krebserkrankungen stärker in den Blick zu nehmen. Weitere relevante Themen seien die Digitalisierung und der Umgang mit benachteiligten Gruppen, etwa Geflüchteten aus der Ukraine oder Syrien. Weiterhin forderte Geissler eine multidisziplinäre und sektorenübergreifende Weiterbildung von Fachkräften. „Als Langzeit-Survivor sind Sie in Deutschland verloren – Sie werden zwischen den Disziplinen hin und her geschoben.“

Forschung und intelligente Datennutzung

Die Relevanz von stärkerer Vernetzung unterstrich auch Prof. Dr. Monika Klinkhammer-Schalke, Direktorin des Tumorzentrums Regensburg und ehemalige Vorstandsvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren. Klinkhammer-Schalke ist in zahlreichen Funktionen ehrenamtlich aktiv, etwa als Mitglied in der Nationalen Dekade gegen Krebs. Sie sprach insbesondere auch die Bedeutung von Daten an: „Daten liefern uns wertvolle Erkenntnisse für Behandlung und Versorgung“, so Klinkhammer-Schalke. Aus bereits vorhandenen Daten ließen sich medizinische Handlungsempfehlungen ableiten – sie verwies hier auf die Behandlung des Vulva-Karzinoms. Hier konnte auf Grundlage von Versorgungsdaten gezeigt werden, dass lokale chirurgische Eingriffe zu ähnlichen Behandlungsergebnissen führen, wie die komplette Entfernung der Vulva. Hierdurch konnte die Lebensqualität der Patientinnen deutlich verbessert werden.

Sie sprach sich während des Deutschen Krebskongresses für einen kooperativen Datenverbund aus und forderte eine Verknüpfung mit spezialisierten onkologischen Registern. Stellvertretend nannte sie das Verbundprojekt onkoFDZ (Krebsforschungsdatenzentrum), das vor rund einem Jahr gestartet ist und das Wissen für therapierelevante Fragestellungen generieren soll, für die klinische Studien derzeit nicht vorhanden oder praktikabel sind.

Dr. Antonius Helou, Bundesgesundheitsministerium, stellt die Neuausrichtung des Nationalen Krebsplanes vor. Quelle: Peter-Paul Weiler


Prozesse statt Strukturen

Zu den Strukturfragen, die der Nationale Krebsplan angehen muss, äußerte sich Dr. Johannes Bruns, Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft. „Wir als Deutsche Krebsgesellschaft haben eine sehr klare Vorstellung davon, wie die Behandlung von onkologischen Patient*innen aussehen soll – und da geht es uns primär darum, Behandelnde zu vernetzen und in Prozessen zu denken“, so Bruns. Als entscheidende Meilensteine im Nationalen Krebsplan nannte Bruns aus Sicht der Deutschen Krebsgesellschaft die Etablierung von zertifizierten Zentren und das onkologische Leitlinienprogramm, in denen der prozessuale Ansatz bereits umgesetzt sei.

Auch in Zukunft müsse die Versorgung die gesamte „Patient Journey“ in den Blick nehmen: So müsse der Gynäkologe beispielsweise mit dem Internisten sprechen und es sei ein enger Austausch mit der Pflege erforderlich. „Wir müssen die Versorgung stärker interdisziplinär, intersektoral und interprofessionell ausrichten.“ Aktuell sei jedoch das Denken in Sektorengrenzen tiefer in den Sozialgesetzbüchern verankert als das Denken in Versorgungsprozessen. „Wir müssen die Grenzen zwischen ambulant und stationär und den verschiedenen Fachbereichen überwinden und ein prozessuales Denken vorantreiben“, so Bruns. Um diese Schnittstellen besser zu verzahnen, könne beispielsweise ein „prozessverantwortlicher Arzt“ als Lotse fungieren, der eine zentrale Ansprechstelle für Patient*innen im gesamten Behandlungsverlauf wäre.

„Reformen in den einzelnen Sektoren sind wichtig“, so Bruns abschließend zur Zukunft des Nationalen Krebsplans, „aber es ist auch wichtig, Sektorengrenzen in einer umfassenden schrittweisen Reform der Versorgung zu überwinden.“

 

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