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AKTUELLE FORSCHUNG

Krebs als Armutsrisiko

Von Simone Dyllick-Brenzinger

Dr. med. Nora Tabea Sibert von der Deutschen Krebsgesellschaft, Quelle: Peter-Paul Weiler


Bessere Heilungschancen und eine Verlängerung der Überlebenszeiten sind messbare Erfolge im Kampf gegen den Krebs. Gleichzeitig zeigt die Forschung, dass das Langzeitüberleben bei Cancer Survivors häufig verbunden ist mit einem Verlust an Lebensqualität und Leistungsvermögen, sowie einem langfristig höheren Armutsrisiko. „Krebs und Armut“ war darum auch Thema auf dem Deutschen Krebskongress 2024. Es zeigt sich: Es gibt immer mehr Forschung rund um den Zusammenhang zwischen Krebserkrankungen, soziökonomischem Status, sozialer Teilhabe und finanzieller Belastung. Einige davon wurden auf dem Kongress vorgestellt.

Eine Krebserkrankung beeinflusst die wirtschaftliche Situation der meisten betroffenen Menschen: Das Einkommen sinkt, während die Ausgaben steigen. Und: „Krebs betrifft nicht nur ältere Menschen“, so Dr. med. Nora Tabea Sibert von der Deutschen Krebsgesellschaft: „35 Prozent der Krebserkrankungen 2019 lagen in der Altersgruppe der 20- bis 64-Jährigen.“

Die Folgen einer Krebserkrankung für Erwerbstätige sind zum Teil dramatisch: Mehr als 36 Prozent, so Sibert, würden nicht in den alten Beruf zurückkehren.

Screenings auch für sozialdienstliche Bedarfe

Sibert zeigte Daten zur „Return-to-Work“-Quote unter Darmkrebsbetroffenen, aus denen hervorgeht, dass acht Jahre nach der Rehabilitation diejenigen mit niedrigem Einkommen nur halb so oft in Arbeit sind wie jene mit hohem Einkommen. „Die Return-to-Work-Quote nach Rehabilitation aufgrund einer Krebserkrankung ist abhängig vom Einkommensniveau vor der Diagnose“, so Sibert.

Was lässt sich in den Versorgungsstrukturen tun? Im psychoonkologischen Bereich gebe es bereits Screening-Möglichkeiten, um Bedarfe für Unterstützung zu identifizieren und Betroffenen entsprechende Angebote zu unterbreiten. „Wir brauchen Screenings auch für sozialdienstliche Bedarfe und finanzielle Schwierigkeiten“, forderte Sibert.

Neben den individuellen finanziellen Folgen einer Krebserkrankung steht die Frage, ob Krebs Menschen stärker belastet, die sozial ohnehin schon benachteiligt sind. Genau das untersucht Dr. Jens Hoebel am Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin. Um die sozioökonomische Ungleichheit messbar zu machen, nutzt Hoebel in seiner Arbeit einen „sozioökonomischen Deprivationsindex“, der verschiedene Faktoren wie Haushaltseinkommen, Schuldner- und Arbeitslosenquote, Schulabschluss und weiteres berücksichtigt.

Soziale Ungleichheit in der Lebenserwartung

Teilt man anhand des Index alle deutschen Landkreise und kreisfreien Städte entlang ihrer Deprivation, zeigt sich ein leichtes Nord-Süd bzw. West-Ost-Gefälle: Die am stärksten deprivierten Regionen befinden sich in Ostdeutschland, Teilen Nordrhein-Westfalens und des Saarlands. Und: „Je höher die Deprivation, desto höher auch die altersstandardisierte Krebsmortalität“, so Hoebel. Zudem zeigte er anhand der Daten, dass die Lebenserwartung niedriger ist, je höher die sozioökonomische Deprivation ist.

Diese „Lebenserwartungslücke“ nahm Hoebel genauer in den Blick und zeigte, inwiefern diese durch Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Covid-19 und andere Ursachen erklärt wird. Er zeigte, dass die Lücke über die letzten 20 Jahre hinweg insbesondere bei weiblichen Krebserkrankten im Alter von 40 bis 70 Jahren zugenommen hat. „Die erhöhte Krebssterblichkeit in deprivierten Regionen leistet einen bedeutsamen Beitrag zur sozialen Ungleichheit in der Lebenserwartung“, fasste er zusammen. Prävention und bessere Versorgung könnten hier einen entscheidenden Beitrag leisten.

Weniger soziale Teilhabe nach Krebs

Prof. Dr. Siegfried Geyer, Hannover, lenkte den Blick zurück auf die individuellen Folgen einer Krebserkrankung. Er hat in einer multizentrischen Langzeitstudie über vier Jahren hinweg Frauen mit Mammakarzinom begleitet. Es handelte sich hier um rund 500 Frauen aus den Regionen Hannover/Hildesheim, die zu Beginn des Studienzeitpunkts durchschnittlich 63 Jahre alt waren. Geyer, der an der Medizinischen Hochschule Hannover die Forschungs- und Lehreinheit Soziologie leitet, wollte im Rahmen der Untersuchung vor allem ausloten, wie sich Krebs auf die soziale und berufliche Teilhabe auswirkt. Neben der Befragung der erkrankten Frauen wurden auch Interviews mit Mitarbeitenden der Sozialdienste und Experten aus 43 Unternehmen geführt.

Was waren Determinanten für eine Rückkehr in den Beruf? Erhoben wurden hier Faktoren wie die selbst eingeschätzte körperliche Gesundheit, wahrgenommene psychische Gesundheit und die Arbeitsbelastung. Die Ergebnisse zeigen: Der größte Teil der untersuchten Patientinnen ist in den Beruf zurückgekehrt. Die Rückkehr wird bestimmt durch die Schwere der Erkrankung, therapiebedingte Beeinträchtigungen und psychische und soziale Faktoren.

Noch fünf Jahre später zeigte sich allerdings, dass Brustkrebspatientinnen weniger am öffentlichen Leben teilnehmen als die Allgemeinbevölkerung. Sie gehen weniger häufig in Restaurants und Kneipen, besuchen seltener Konzerte, Theater oder Ausstellungen, unternehmen seltener Ausflüge und Kurzreisen und sind weniger aktiv in der Kommunalpolitik.

Zertifizierte Zentren können Stressoren abmildern

Eine weitere multizentrische Langzeitstudie wurde auf dem Deutschen Krebskongress von Prof. Dr. Anja Mehnert-Theuerkauf von der Uni Leipzig vorgestellt, in deren Rahmen rund 1.000 Patient*innen prospektiv untersucht wurden Es scheint, so Mehnert-Theuerkauf, ganz generell einen Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status und chronischen Krankheiten zu geben. So hingen Gesundheitskompetenz, Lebensstil, Komorbidität und Inanspruchnahme von Behandlung vom Einkommen ab mit entsprechenden Auswirkungen auf Inzidenz und Überleben.

Mehnert-Theuerkauf gab einen Einblick in die vorläufigen Ergebnisse. Bislang habe man keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Krebserkrankung und Verschlechterung der finanziellen Lage während der Therapie gefunden, was aber möglicherweise damit zu erklären ist, dass fast alle untersuchten Patient*innen in „Zertifizierten Zentren“ behandelt wurden. „Diese bieten neben einer qualitativ hochwertigen Krebsversorgung auch eine umfassende psychosoziale Betreuung an und können mögliche Stressoren insbesondere bei Patient*innen mit niedrigem sozio-ökonomischem Status abmildern“, so Mehnert-Theuerkauf.

Die Ergebnisauswertung laufe aktuell noch – und es gäbe spannende Trends bei der Analyse der Subgruppen, etwa dass Männer mit niedrigerem sozio-ökonomischem Status signifikant höher belastet sind als Frauen.

Krebs und Armut – welche Hürden gilt es zu überwinden?

Krebs und Armut – ein Thema, an dem unter vielfältigen Blickwinkeln und an unterschiedlichen wissenschaftlichen Institutionen quer durch Deutschland geforscht wird: Die Vorträge auf dem Deutschen Krebskongress gaben einen Eindruck in die Vielfalt der Methoden und Ansätze, zeigten aber auch aktuell vorhandene Hürden auf, etwa mit Blick auf die fehlende Datenverfügbarkeit. „Wir haben in Deutschland zu wenig Individualdaten, hier müssten sich Datenzugänge und Verknüpfungsmöglichkeiten verbessern“, fasste die Sitzungsvorsitzende Prof. Dr. Lena Ansmann von der Universität Köln zusammen. „Die Ergebnisse zeigen“, so Dr. Jens Hoebel vom RKI, „wie wichtig die Forschung in diesem Bereich ist, um den Teufelskreis zwischen Krebs und Armut zu durchbrechen.“

Mehr über Sozialleistungen bei Krebs hier: https://www.krebshilfe.de/informieren/ueber-krebs/mit-krebs-leben/sozialleistungen-bei-krebserkrankungen/

Was die Politik tun kann, um den Teufelskreis zwischen Krebs und Armt zu durchbrechen, können Sie nachlesen in einem Positionspapier der Stiftung Deutsche Krebshilfe: https://www.krebshilfe.de/fileadmin/Downloads/PDFs/Stellungnahmen/Deutsche_Krebshilfe_-_Positionspapier_Krebs_und_Armut.pdf

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