Als 2007 in San Francisco die ersten beiden Gastgeber drei Gäste bei sich übernachten ließen und so die Idee einer für damalige Verhältnisse ungewöhnlichen Reiseplattform entstand, konnte noch niemand ahnen, dass diese Plattform einmal über 8 Millionen aktive Inserate weltweit und 1,4 Millionen Gastgeber:innen alleine in Europa zählen würde. Mit Erfolg kommt auch Verantwortung. Deswegen ist es Airbnb auch wichtig, dazu beizutragen, dass die Lebensqualität der Bewohner:innen deutscher Städte geschützt und die Auswirkungen des Tourismus in den Städten gerecht verteilt wird. Im Interview verrät Ellen Madeker, Leiterin für Public Policy DACH & CEE, wie sich Airbnb zum Thema stadtverträglicher Tourismus positioniert und was Airbnb sowohl zum Thema Massentourismus als auch zur Kritik an den angespannten Wohnungsmärkten in deutschen Großstädten zu sagen hat.
1.) Frau Madeker, wie definiert Airbnb stadtverträglichen Tourismus?
Stadtverträglicher Tourismus ist für alle gut: für die Menschen, die in einer Stadt wohnen, für Gäste und Gastgeber:innen. Wir unterstützen einen Tourismus, der die Lebensqualität der Bewohner:innen schützt und die Auswirkungen des Tourismus in der Stadt verteilt. Homesharing, d.h. das Teilen der eigenen Wohnung mit Gästen, trägt ebenfalls zu einem nachhaltigen Tourismus bei, indem es bestehende Infrastrukturen nutzt und keinen Wohnraum wegnimmt.
2.) Was genau meinen Sie mit der Verteilung touristischer Auswirkungen?
Airbnb setzt sich für einen nachhaltigen Tourismus ein, worunter wir auch die Entzerrung des Tourismus auf weniger volle Stadtviertel verstehen. Dadurch werden Touristenzentren entlastet und gleichzeitig lokale Geschäfte wie Gastronomie und Kleinhandel gefördert. Private Unterkünfte, die oft abseits der zentralen Tourismusgebiete liegen, tragen zu einer ausgewogeneren Verteilung des Tourismus bei und ermöglichen eine breitere Wertschöpfung, was schlussendlich dazu führt, dass mehrere Stadtteile von Airbnb profitieren.
3.) Was tut Airbnb, um Gäste in weiter abgelegene Stadtviertel zu lenken? Zeigt sich diese Strategie als erfolgreich?
Mit der Einführung der „flexiblen Suche“ und mehr als 50 neuen Suchkategorien auf der Plattform lenken wir Tourist:innen gezielt weg von saisonal entstehenden Hotspots. Die flexible Suche inspiriert Gäste, Unterkünfte in Gegenden zu finden, die abseits der touristischen Zentren liegen. So übernachten Gäste seit der Einführung im Durchschnitt rund acht Kilometer von ihrem ursprünglichen Ziel entfernt. In Berlin führte diese Strategie im ersten Quartal 2023 zu rund 48.000 Gästeankünften in Bezirken wie Neukölln und Lichtenberg, wo der durchschnittliche Übernachtungspreis bei 80 Euro lag und einen Umsatz von neun Millionen Euro für lokale Gastgeberinnen und Gastgeber generierte. Diese Ansätze tragen wirksam zur Entzerrung des Tourismus bei und fördern eine ausgewogenere Verteilung der Besucherströme in den Städten.
4.) Was tut denn Airbnb in Berlin konkret für die lokale Wirtschaft?
Da gibt es verschiedene Initiativen. Ein Beispiel ist der „Kiez-Guide“, den wir in Zusammenarbeit mit den Gastgeber:innen in Berlin entwickelt haben. Dieser Guide gibt den Gästen Tipps zu den besten Geschäften und Restaurants in verschiedenen Berliner Bezirken und unterstützt so gezielt die lokale Wirtschaft. Im vierten Quartal 2023 gaben Gäste über Airbnb in Berlin z.B. durchschnittlich 115 Euro pro Tag in den Kiezen aus, vor allem in Restaurants, aber auch für Shopping, Unterhaltung und den öffentlichen Nahverkehr.
Darüber hinaus fördern wir engagierte lokale Unternehmen durch Wettbewerbe. Im November 2022 haben wir in Partnerschaft mit dem Nachbarschaftsnetzwerk nebenan.de das syrische Restaurant „Kreuzberger Himmel“ in Berlin und den Unverpacktladen „Tante Olga“ in Köln für ihr Engagement für Gemeinschaft und Nachhaltigkeit ausgezeichnet. Beide Unternehmen erhielten jeweils 10.000 Euro, die sie in Form von Rabatten und Gutscheinen an die Besuchenden eines Stadtteilfestes weitergaben.
5.) Trotz dieser Bemühungen wird Airbnb immer wieder vorgeworfen, den Massentourismus zu fördern. Was halten Sie von dieser Kritik? Fördert Airbnb den Massentourismus?
Massentourismus ist ein modernes Phänomen, das vor allem durch Hotels entsteht, die eine hohe Auslastung nicht nur ermöglichen, sondern auch benötigen, um als Struktur rentabel zu sein. Airbnb hat im Vergleich dazu einen deutlich geringeren Einfluss und arbeitet zudem aktiv daran, die Tourismusströme zu entzerren und die Hotspots zu entlasten. Ein Beispiel: Auf den Kanaren, wo wir diesen Sommer Proteste gegen den Tourismus gesehen haben, befinden sich 9 von 10 Airbnbs in nicht-urbanen Räumen und tragen somit kaum zur Überfüllung der Innenstädte bei. Alle Akteure im Tourismus müssen zusammenarbeiten, um inhaltliche Differenzen zu überwinden. Proteste gegen Tourismus verstehe ich als Handlungsauftrag an die gesamte Tourismusbranche. Wir alle tragen Verantwortung dafür, den Tourismus so nachhaltig und sozialverträglich wie möglich zu gestalten.
6.) Welche positiven Effekte sehen Sie denn für die Einheimischen?
Ferienwohnungen, die über Airbnb vermietet werden, helfen vielen Menschen, die stetig steigenden Lebenshaltungskosten zu bewältigen. Ein Drittel der Gastgeber:innen auf Airbnb in Deutschland gaben 2021 an, dass ihnen das zusätzliche Einkommen durch die Mieteinnahmen aus der Kurzzeitvermietung hilft, die eigene Miete zu bezahlen oder finanziell über die Runden zu kommen. Auch dies sollte in dieser Diskussion berücksichtigt werden.
7.) Viele Menschen sind der Meinung, dass Tourismus negative Auswirkungen auf deutsche Großstädte hat, in denen Wohnraum knapp ist. Wie steht Airbnb zu dieser Kritik und welche Maßnahmen plant das Unternehmen, um diesen Herausforderungen zu begegnen?
Genau deshalb gibt es ja in nahezu allen Bundesländern bereits Regulierung - und wir verstehen, dass diese nötig ist, um Wohnraum zu schützen. In verschiedenen Städten, so etwa in Berlin, Hamburg, Düsseldorf und Köln, unterstützen wir die Registrierungspflicht durch technische Lösungen auf der Plattform. In Berlin wurde beispielsweise das Zweckentfremdungsverbot von Wohnraum eingeführt, um den Wohnungsmarkt zu schützen. Um Gastgeber:innen bei der Einhaltung der Vorschriften zu unterstützen, hat Airbnb eine spezielle Website für Berliner Gastgeber:innen eingerichtet, regelmäßige E-Mail-Updates zur Registrierungspflicht verschickt und spezielle Webinare angeboten. Damit soll sichergestellt werden, dass Gastgeber:innen informiert sind und ihr Zuhause vorschriftsmäßig mit Gästen teilen können. Übrigens sind wir in diesem Bereich Pioniere unter den Reiseplattformen! Wir tun, was wir können, ich möchte jedoch betonen, dass andere Faktoren eine weitaus größere Rolle bei der Wohnraumknappheit spielen.
8.) Welche weiteren Faktoren haben Ihrer Meinung nach zur angespannten Situation auf dem deutschen Wohnungsmarkt beigetragen?
Wie viel Zeit haben Sie? Die Wohnungskrise ist ein sehr komplexes Problem, das sich über Jahrzehnte entwickelt hat. Auch die Lösungen sind kompliziert und langwierig, weshalb ich auch die Verlockung verstehe, mit dem Finger auf einzelne Akteure wie Airbnb zu zeigen.
Bezüglich der weiteren und wichtigeren Faktoren: Das starke Bevölkerungswachstum, insbesondere durch Zuwanderung - allein Berlin verzeichnete bis 2022 laut dem Amt für Statistik Berlin-Brandenburg einen Zuzug von über 84.000 Menschen - hat die Nachfrage nach Wohnraum stark erhöht. Gleichzeitig ist der soziale Wohnungsbau stark zurückgegangen, sodass nach Erhebungen des Zensus insbesondere für Einpersonenhaushalte und Geringverdienende ein Fehlbedarf von rund 1,9 Millionen Wohnungen besteht. Auch die niedrige Neubauquote trägt zur Wohnungsknappheit bei: Im Jahr 2024 werden laut Bundesregierung nur 295.000 der geplanten 400.000 neuen Wohnungen fertiggestellt sein, was auf steigende Zinsen, Baukosten und Lieferengpässe zurückzuführen ist. Außerdem spielen auch andere Faktoren wie Spekulation, die geopolitische Lage und Inflation eine weitaus größere Rolle bei der Wohnungsknappheit.
9.) Wenn also der Tourismus nur einen Bruchteil eines größeren und komplexeren Phänomens darstellt, würde mich an dieser Stelle interessieren, wie Airbnb zu den neuen europäischen Regelungen für Kurzzeitvermietungen steht, die möglicherweise auch für die Plattform Einschränkungen mit sich bringen könnten?
Airbnb betrachtet den Schutz von Wohnraum als integralen Bestandteil eines stadtverträglichen Tourismus und unterstützt Regulierungen dort, wo Kurzzeitvermietungen unverhältnismäßige Auswirkungen auf lokale Wohnungsmärkte haben. Die neue EU-Regulierung für Kurzzeitvermietungen ist ein wegweisendes Beispiel dafür. Sie schafft klare Vorgaben für den Zugang zu Buchungsdaten der Online-Plattformen und die Gestaltung digitaler Registrierungssysteme für Gastgeber:innen, was nicht nur den Städten, sondern auch Plattformen wie Airbnb zugutekommt. Für mein Team, das 11 EU-Staaten betreut, bedeutet dies weniger Bürokratie und eine einheitlichere Zusammenarbeit, da die neuen Regelungen endlich Einheitlichkeit in den Flickenteppich der nationalen Regulierungsansätze bringen. Diese Entwicklung birgt zudem großes Potenzial für die Digitalisierung in Deutschland und bietet spannende Perspektiven für 2025.
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