Die GITEX Europe feiert ihre Premiere – und hat sich für Berlin entschieden. Bei der europäischen Ausgabe der weltweit führenden Tech- und Start-up Messe GITEX Global treffen sich in dieser Woche Visionäre, Start-ups und Tech-Giganten aus aller Welt zum Austausch. Dabei geht es neben den neuesten Innovationen im Bereich der Digitalisierung auch um die gravierenden geopolitischen Veränderungen und die Frage, wie Berlin seine Rolle als europäische Metropole für Zukunftstechnologien neu definieren kann.
Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) spricht mit uns über Chancen und Herausforderungen der GITEX Europe für Berlin und Europa, die Notwendigkeit einer klaren Standortpolitik und die Rolle Berlins in der digitalen Transformation.
Frau Senatorin, Berlin konkurriert mit europäischen Metropolen wie Paris, Amsterdam oder Stockholm um Tech-Talente und Investitionen. Wie schätzen Sie die Position Berlins im internationalen Vergleich ein, und welche strukturellen Veränderungen sind nötig, um Berlin langfristig als führenden globalen Tech-Standort zu etablieren?
Berlin ist die Stadt der Freiheit, der Kreativität und der Vielfalt. Das zieht Menschen aus der ganzen Welt an. Hier treffen Hightech und Hochkultur, KI und Kunst, Venture Capital und Clubszene aufeinander.
Was unser Startup-Ökosystem betrifft, gehört Berlin zur internationalen Spitzenklasse. Zurzeit sind hier rund 5.000 Startups ansässig, die fast 100.000 Menschen beschäftigen. Und wenn wir auf die internationalen Rankings schauen, liegen wir europaweit zusammen mit London und Paris unter den Top drei. Allein in den vergangenen fünf Jahren konnten Berliner Startups 23 Milliarden Euro an Wagniskapital aus der ganzen Welt einwerben. Das zeigt: Berlin ist ein Magnet für Ideen und Investitionen. Dass sich die GITEX Europe für Berlin entschieden hat, ist ein weiterer Beweis, dass wir längst eines der etablierten Tech-Zentren Europas sind. Zudem sind wir mit 11 staatlichen und 38 privaten Hochschulen sowie knapp 250.000 Studierenden, Lehrenden und Forschenden aus aller Welt einer der führenden Wissenschafts- und Forschungsstandorte in Europa.
Gleichzeitig ruhen wir uns auf diesen Erfolgen nicht aus. Wir stärken langfristig die Finanzierungsperspektiven für Startups und Scaleups sowie eine noch intensivere Kooperation zwischen Hochschulen und Unternehmen, damit Wissen schneller in Innovationen mündet. Als eine Maßnahme dafür haben wir zum Beispiel letzten Monat mit der IBB Ventures GmbH einen neuen Venture Capital Fonds aufgesetzt. Berlin vergibt mit diesem Pre-Seed-Fonds EU-Mittel in Höhe von 10 Millionen Euro an Deep Tech-Startups, die sich aus Hochschulen und Forschungsinstituten ausgründen. Der Fonds unterstützt Gründerinnen und Gründer in der Pre-Seed Phase, also der ganz frühen Keimphase der Unternehmensgründung. Nach dem Motto „From Lab to Fab“ ist das ein weiterer Beitrag, um Berlin zum Innovationsstandort Nummer eins in Europa zu machen.
Außerdem treiben wir mit Hochdruck den Ausbau der digitalen Infrastruktur voran. Bereits jetzt können wir in Berlin flächendeckend mit 5G surfen und wir machen auch Tempo beim Glasfaserausbau. 884.000 Haushalte und Unternehmen in unserer Stadt verfügen bereits über Glasfaseranschlüsse. Das sind über 40 Prozent. Bis 2028 sollen Glasfasernetze flächendeckend in der ganzen Stadt verfügbar sein.
Mit dem AI-Act hat die EU einen umfassenden Rechtsrahmen für Künstliche Intelligenz und Cybersicherheit geschaffen. Sehen Sie diesen Ansatz als wegweisend für die Zukunft der digitalen Souveränität Europas oder besteht die Gefahr, dass zu viel Regulierung den Innovationsdrang hemmt?
Bei den Regulierungen gibt es immer zwei Seiten derselben Medaille, auch im Fall von Rechtsrahmen für Innovationen: Einerseits schafft der AI-Act Standards, die für die europäische Wirtschaft von großem Wert sein können und auch für uns einen echten Standortvorteil bedeuten. Der sogenannte „Brüssel-Effekt“ zeigt: Wenn wir in der EU klare Regeln setzen, orientiert sich oft auch der Rest der Welt daran. Die EU ist einer der drei größten Märkte überhaupt.
Mit dem KI-Gesetz erhalten wir wichtige Eingriffsmöglichkeiten, wenn Anbieter sich nicht an die gesetzlichen Vorgaben halten. Gleichzeitig schaffen wir damit Rechtssicherheit für Unternehmen – eine wichtige Voraussetzung, um langfristige Investitionen anzuziehen. Ebenso stärken wir das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in KI-Systeme, und das ist unerlässlich, wenn Technologien wirklich in der Breite ankommen sollen.
Andererseits müssen wir genau aufpassen: Jede zusätzliche Regelung kostet Unternehmen Zeit und Geld. Gerade kleinere Unternehmen und Startups spüren diese Belastung deutlich. Entscheidend wird deshalb sein, wie die Risikobereiche im AI-Act am Ende abgegrenzt werden. Wenn wir hier einen pragmatischen, wettbewerbsfreundlichen Ansatz hinbekommen, der zwischen echten Hochrisikobereichen und weniger kritischen Anwendungen unterscheidet, dann wird Europa stark profitieren. Und die Anzeichen dafür stehen gut.
Künstliche Intelligenz ist ein zentrales Thema auf der GITEX Europe. Welche gezielten Maßnahmen ergreift der Senat, um Berlin als führenden Standort für KI-Investitionen und -Entwicklungen zu positionieren?
Wir arbeiten in Berlin gezielt daran, die gesamte Innovationspipeline im Bereich KI zu stärken – von der Grundlagenforschung bis zum Markteintritt. Und das funktioniert bisher schon sehr gut: gut 200 KI-Startups zählen wir in Berlin. Eines davon ist gerade zum nächsten Unicorn aufgestiegen. Damit sind wir in Deutschland klarer Spitzenreiter. Mit dem „Berlin Institute for the Foundations of Learning and Data“ (BIFOLD) haben wir hier ein echtes Schwergewicht unter den deutschen KI-Kompetenzzentren, das Berlin gemeinsam mit dem Bund jährlich mit 22 Millionen Euro unterstützt.
Diese Forschungspower müssen wir noch mehr in Produkte und wirtschaftlichen Erfolg überführen. Deshalb fördern wir auch gezielt den Transfer in die Praxis. Mit dem KI Entrepreneurship Zentrum „K.I.E.Z.“ helfen wir Gründerinnen und Gründern, ihre Ideen auf den Markt zu bringen. Unsere Wirtschaftsförderagentur Berlin Partner unterstützt KI-Unternehmen bei der Ansiedlung, Vernetzung und Innovationsförderung. Außerdem entsteht mit der UNITE-Initiative das größte Gründungszentrum für wissenschaftsbasierte Startups in Europa.
In diesem Jahr gehen wir noch einen Schritt weiter: Mit dem neuen AI Berlin Hub bündeln wir die Kräfte der Berliner KI-Community und sorgen dafür, dass Berlin national und international als führender KI-Standort noch sichtbarer wird. Und mit dem technologieoffenen Förderprogramm „ProFIT“ haben wir ein starkes Instrument an der Hand, um Innovationen ganz konkret zu unterstützen – KI-Produkte stehen hier bereits seit mehreren Jahren ganz oben auf der Bewilligungsliste für Förderungen.
Die EU unterstützt mit Programmen wie „Digital Europe“ und „Horizon Europe“ Innovationen und digitale Infrastruktur. Wie nutzt Berlin diese Fördermöglichkeiten strategisch, um seine Rolle als Schrittmacher der digitalen Transformation innerhalb Europas auszubauen?
Berlin profitiert erheblich von den europäischen Innovationsprogrammen. Allein aus „Horizon Europe“ sind im letzten Jahr rund 120 Millionen Euro nach Berlin geflossen. Diese Mittel kommen nicht nur den Berliner Universitäten und Forschungsinstituten zugute, sondern auch vielen innovativen Unternehmen.
Auch aus „Digital Europe“ fließen derzeit über 17 Millionen Euro nach Berlin – etwa in ein europaweites Gemeinschaftsprojekt für KI- und Robotik-Testverfahren im Gesundheitsbereich, das von der Charité geleitet wird.
Strategisch wollen wir uns in Zukunft noch besser aufstellen: Die Innovationsstrategie des Landes Berlin wird derzeit unter Federführung der Wirtschaftsverwaltung neu ausgerichtet. Künftig wollen wir unsere Maßnahmen auch in der Metropolregion Berlin-Brandenburg stärker entlang konkreter Zukunftsmissionen organisieren – ob Digitalisierung, Dekarbonisierung oder demografischer Wandel. So passen wir uns nicht nur besser an die großen Förderlinien von EU und Bund an, sondern setzen klare Prioritäten für eine innovative und widerstandsfähige Hauptstadt.
Angesichts geopolitischer Unsicherheiten und globaler Krisen: Wie können Berliner Unternehmen und Start-ups ihre Resilienz stärken, insbesondere im Hinblick auf Lieferketten, Datensicherheit und die Aufrechterhaltung internationaler Partnerschaften
Ob Corona-Pandemie oder internationale Handelskonflikte: Die letzten Jahre haben uns deutlich gezeigt, wie anfällig globale Lieferstrukturen sein können und wie wichtig Resilienz ist. Berliner Unternehmen sollten ihre Beschaffungsstrategien breiter aufstellen und regionale sowie europäische Wertschöpfungsketten wieder stärker in den Blick nehmen. Das erhöht die Unabhängigkeit und senkt die Risiken in Krisenzeiten.
Beim Thema Datensicherheit setzen wir klare Schwerpunkte. Mit Angeboten unserer Berliner Digitalagentur helfen wir Unternehmen, sich beim Thema IT-Sicherheit gut aufzustellen – von der ersten Beratung bis zur Unterstützung bei konkreten Cyberangriffen. Unser Netzwerk "it’s BB" und die DAB Cyberhotline sind wichtige Partner für schnelle Hilfe.
Und was die internationalen Partnerschaften betrifft: Gerade jetzt müssen wir sie pflegen und weiter ausbauen. Unsere Business Offices in den USA und China sind dafür wichtige Anlaufstellen. Wir setzen auf langfristige strategische Kooperationen, damit Berlin auch künftig ein verlässlicher Partner in der Welt bleibt. Die zwei „I“ sind dafür handlungsleitend: Innovation und Internationalisierung – denn wir wollen Innovationsstandort Nummer 1 in Europa werden.
Mehr zur Tech-Messe finden Sie auf der offiziellen Website: www.gitex-europe.com
Von Claudia Kleist
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